Gut gemacht!

Bin ich wirklich gut genug? Bin ich hier wirklich richtig? Warum Lob und Anerkennung in unserer Gesellschaft immer noch viel zu kurz kommt.

vor 3 Jahren   •   Lesezeit: 4 Min.

Von Chris

Ich gehöre zu den Menschen, die sich zwischendurch mal fragen, ob sie denn gut genug sind. Insbesondere im Job habe ich das oft getan und tue es heute ab und an noch.
"Die Anderen können das viel besser als ich"
"Ist meine Leistung die ich hier bringe wirklich genug?"
Das sind zwei einfache Gedanken, die aber eine verheerende Wirkung haben.
Das Schlimme daran: sie sind meistens nicht wahr.

Ich stelle immer wieder fest, dass mein eigener Blick auf das was ich bin und tue - meine Selbsteinschätzung meiner selbst - meistens deutlich negativer behaftet ist als das, was die anderen sehen und an mir wahrnehmen. Das merke ich spätestens, wenn ich mir wieder mal Feedback einhole und so viel Gutes höre.
Kommt dir das bekannt vor? Vielleicht fühlst du dich als sogenannter Imposter - "Ich gehöre doch gar nicht hier hin - ich bin nur ein Hochstapler unter all denen, die das echt können, was ich vorgebe zu sein".

Ich glaube, dass diese Gedankengänge in der heutigen Welt, die an so vielen Stellen nur leistungsgetrieben ist, bei vielen Menschen immer wieder vorkommen. Ich glaube, dass sich viele  Menschen als Imposter fühlen - öfter als man denkt.

Sich selbst zu Hinterfragen, über sich selbst nachdenken und sich und seine Handlungen zu reflektieren ist gut und wichtig. Ich habe das in meiner Lehrerausbildung gelernt. Selbstreflexion im Praktikum. Die eben gehaltene Unterrichtsstunde nochmal durchzugehen. Oft sieht man dabei die Dinge, die nicht gut waren, die Dinge, die man verbessern kann. Ja, das ist sehr wertvoll, keine Frage. Aber wenn wir immer nur auf die negativen Dinge schauen, verliert man schnell den Blick auf die Dinge, die am meisten motivieren: das was gut lief! Selbstreflexion sollte das Positive viel stärker hervorheben.

Whiplash und wie es besser geht

Heute habe ich den Film "Whiplash" geschaut. Zum ersten Mal.
Ein begabter Drummer, Andrew, kommt in eine Band mit einem sehr neurotischen Leader - Fletcher. Fletcher flucht seine Leute an, er kickt auch mal eben einen aus der Band. Fletcher ist genau, penibel um es exakt zu sagen. Andrew wird von Fletcher zur Höchstleistung getrieben, ohne Rücksicht auf Verluste - es fliesst wortwörtlich Blut. Fletcher und Andrew sind zwei völlig unterschiedliche Charaktere, die sich hart bekämpfen - und doch in der Höchstleistung der Musik Anerkennung füreinander finden.
Fletcher sagt dabei in einer Schlüsselszene zu Andrew, dass die schädlichsten Worte „Gut gemacht" sind. Denn dann würde man sich selbst auf die Schulter klopfen, sich über das Lob freuen und sich auf den Lorbeeren ausruhen und sich nicht mehr verbessern. Nur regelmäßiger Ansporn führe zur Höchstleistung und dabei zum Glück.

Und genau hier bin ich der Meinung, liegt die Krux begraben. Die Krux des Imposter Syndroms: der ewige Ansporn durch den Gedanken, nicht gut genug zu sein. Ich bin vollkommen überzeugt, dass das nicht der richtige Ansatz ist. Ich bin davon überzeugt, dass echte intrinsische Motivation langfristig nicht mit Druck erzeugt werden kann. Denn irgendwann bleibt das "Ich bin nicht gut genug" hängen. Im schlimmsten Falle in allen Lebenslagen. Das kann nicht gut sein.

Ich empfinde es als immens wichtig, regelmäßig "Gut gemacht" zu sagen. Denn damit zeige ich beispielsweise während meiner Arbeit, dass ich die erledigte Arbeit der Kollegen hoch achte. Ich drücke meinem Gegenüber Wertschätzung aus. Lob und Anerkennung sind das, was meines Erachtens ein Imposter-Syndrom mit verhindern kann. Natürlich kann und soll Anerkennung sich auch in anderen Dingen widerspiegeln als in Worten (Stichwort Gender Pay Gap - schaut mal nach, woher das Imposter Syndrom genau herkommt...). Aber in unserer heutigen Gesellschaft kommt das "Gut gemacht" meines Erachtens viel zu kurz.

Ich bin ehrlich: auch ich stolpere oft darüber, dass ich zu wenig lobe oder Anerkennung ausspreche.
Im Gegensatz zu einem meiner Arbeitskollegen, der das einfach im Blut hat. Er nutzt diese Möglichkeit aktiv und genau in dem Mass, wie sie sinnvoll ist. Auch das ist ein wichtiger Aspekt: Lob muss die passende und vor allem ehrliche Dosis haben. Es muss an der richtigen Stelle in der richtigen Menge verteilt werden. Leere, übertrieben viele Worthülsen sind ebenso schädlich wie zu wenig loben.

Ich nehme mir regelmäßig vor, meine Kolleginnen und Kollegen aktiv ein "Gut gemacht" weiterzugeben, wenn ich etwas großartig finde (ein Wort dass ich übrigens gerne auch mal anstatt "Gut gemacht" verwende).

Der innere Cheerleader

Zu Loben heisst übrigens nicht, dass man nicht auch Kritik üben darf. Denn es ist völlig richtig, dass es auch motiviert, die Dinge zu prüfen, die man verbessern könnte und sie dann auch aktiv zu verbessern. Aber die Mischung machts.
Das Spannende dabei: beim Reflektieren an sich selbst Kritik zu üben ist viel einfacher, als sich auch mal selbst zu loben. Und genau deshalb, ist Lob und Anerkennung von aussen auch so relevant. Denn kritisieren tun wir uns selbst sehr schnell.

Wenn du jetzt das Gefühl hast, dass du dich selbst oft als "Imposter" fühlst, dich selbst ständig kritisierst und mit dir hart ins Gericht gehst: dann solltest du ganz unbedingt auch mal deinen inneren Cheerleader kennenlernen. Ein Gedankenspiel, bei dem du dich in die Rolle einer Persönlichkeit in dir versetzt, die ein Loblied auf dich sing - die einfach erzählt, was an dir so toll ist (gerne auch mit Puschel und tanzend ;)). Dinge aufzählt, die du genial gemacht hast und die dich so toll machen.
Am Ende stellst du fest: "Wow, ich bin großartig!" Am Besten funktioniert dieses Gedankenspiel übrigens zusammen mit einem Coach oder einer guten Freundin/einem guten Freund. Einfach mal ausprobieren. Es ist ziemlich cool :)

Mehr über das Imposter-Syndrom gibt es übrigens hier, in einem Artikel von spektrum.de zu lesen.

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